Warum Gott Mensch wurde

Manuel, ein Schüler der Klasse 8b fragte in der Adventszeit seinen Lehrer:
„Warum wird Gott an Weihnachten ein Baby?“
Überrascht sah der Lehrer auf, überlegte kurz und sagte:
“Ich glaube, Gott wollte den Menschen nahe sein, er wollte, dass sie ihn kennenlernen und verstehen …“
„Als Baby?“ Manuel schüttelte den Kopf. „Wenn Gott wollte, dass die Menschen ihn besser verstehen, dann hatte er sich aber keinen guten Weg ausgewählt. Was sollte da ein kleines Kind?“

Die Frage stand im Raum und auch die anderen Schüler der Klasse warteten auf die Antwort des Lehrers. Der Lehrer hatte sich inzwischen gefangen und sagt: „Ich habe da mal eine Geschichte gehört, mit der man das vielleicht etwas besser verstehen kann. Mal sehen, ob ich sie noch zusammenbekomme.“ Die Schüler blickten ihn gespannt an.
„Also, ich glaube die Geschichte ging so:

Eines Tages war der alte englische Lord mit seinem Sohn in den Wald gegangen. Sie schritten zwischen den mächtigen Bäumen hindurch. Der Lord hatte beschlossen, alle Bäume fällen zu lassen. Schon bald würde man hier das Klingen der Äxte und den Lärm der Motorsägen hören. Dieser Wald hatte seine Zeit gehabt. Alles würde neu werden.
Der Sohn war vor einem Ameisenhaufen stehen geblieben. Interessiert beobachtete er das emsige Treiben der kleinen Tierchen. Alle waren sehr beschäftigt. Einige schleppten Tannennadeln, andere Holzstückchen, die größer waren als sie selbst. Wieder andere liefen nur hin und her und man konnte nicht erkennen, was ihre Aufgabe war.
„Was wird mit ihnen passieren?“ Der Sohn sah zu seinem Vater auf.
„Auch für sie wird es ein Ende hier haben, wenn wir den Wald roden.“
„Aber das müssen wir ihnen doch unbedingt sagen!“ protestierte der Sohn.

Der Lord schaute unverständlich. „Ihnen sagen?! Wie wollen wir den Ameisen sagen, dass es mit dem Wald und mit ihrer kleinen Welt, mit ihrem Ameisenhaufen, zu Ende geht?“
„Ich weiß es!“, rief der Junge aufgeregt. Er hatte einen großen Stein entdeckt, der er aufhob und mitten in den Ameisenhaufen fallen ließ.
„Was tust du da?“, rief der Lord. „Du zerstörst ja alles!“
„Nicht alles. Ich weiß, es ist schlimm für sie. Aber ich muss sie doch irgendwie warnen vor der schrecklichen Katastrophe, die ihnen bevorsteht!“
Auf dem Ameisenhaufen war inzwischen die Hölle los. Aufgeschreckt liefen die kleinen Tierchen hin und her. Der Stein war tief in den Ameisenhaufen eingedrungen.
„Ich bin gespannt was jetzt passiert“, interessiert beobachtete der Junge die Tiere.
„Komm lass uns weitergehen“, drängte der Lord. „Auf dem Rückweg können wir hier noch mal vorbeikommen.“
Zögernd ging der Junge mit.

Als die beiden nach geraumer Zeit wieder zum Ameisenhaufen kamen, hatte sich die Aufregung dort schon wieder gelegt. Von den Zerstörungen war kaum mehr was zu sehen. Der Stein war eingebettet in die Ameisenwelt. Das Ameisenleben ging wieder seinen gewohnten Gang.
„Sie haben nichts begriffen!“, rief der Junge aus. „Alles ist wie vorher!“
Er schaute nachdenklich in den Ameisenhaufen und sagte dann leise: „Wahrscheinlich müsste ich eine Ameise werden, damit sie verstehen was ich ihnen sagen will.“
Der Lord sah seinen Sohn fragend an?
„Ja, ich müsste ganz klein werden. Einer von ihnen. Müsste ihre Sprache sprechen, in ihrer Welt leben, damit ich sie retten kann.“

„Ja“, nickte der Lord „das wäre wahrscheinlich die einzige Möglichkeit. Aber ob sie dir dann glauben würden? Ob sie dir glauben würden, dass du mein Sohn bist, und ob sie glauben würden, dass du weißt, was mit dem Wald und mit ihrer kleinen Welt passieren wird?“ „Man müsste es versuchen“, sagte der Sohn.
„Ja, man müsste es versuchen“, nickte der Lord.

Der Lehrer schaute gespannt in die Runde und nach einer Weile wollte er seinem Unterricht fortsetzen.

„Ich hätte es versucht“, sagte Manuel.
Der Lehrer lächelte. „Ja, Gott hat es auch versucht. Wir waren ihm nicht gleichgültig. Er hat uns etwas Wichtiges zu sagen.
Er verließ den Himmel und lag eines Tages vor 2000 Jahren als Baby in der Krippe …
Und“ fügte er ernst hinzu, „nur wer glaubt, dass das Kind in der Krippe Gottes Sohn ist, wird ihn verstehen und – was noch wichtiger ist – wird ihn ernst nehmen, ihm vertrauen und kann sich so von ihm retten lassen.“