Barmherziger Vater – Teil 1

In dem Schwarzwalddorf Bermersbach im Murgtal lebte ein Bauer mit seinen beiden 18- und 20-jährigen Töchtern auf einem großen Gutshof.
Es gab viel Arbeit auf diesem Bauernhof und die beiden Töchter mussten kräftig mitanpacken.
Eines Tages hatte es die hübsche jüngere Tochter satt.
Statt in diesem langweiligen „Kuhdorf“ zu vermodern, wollte sie das Großstadtleben kennen lernen…
Statt Kühe melken und stinkige Viehställe saubermachen – Modeln auf Modeschauen, Events, Partys…

So ging sie zu ihrem Vater und bat ihn, ihr jetzt schon ihren Erbteil vom Hof auszubezahlen.
Der Vater war sehr traurig darüber, willigte aber nach einer Woche Bedenkzeit ein.
Er verkaufte die Hälfte der Äcker, ein Landwirtschaftsgebäude und seinen neuen Lieblingstraktor, damit er der Tochter ihr Erbteil in Höhe von 500.000 EUR ausbezahlen konnte. Es würde nun schwierig werden,  mit den restlichen zwei Dritteln des Hofes über die Runden zukommen.
Die Tochter nahm das Geld und zog nach Berlin. Mailand, Rom und schließlich München waren ihre weiteren Stationen.
Sie hatte jetzt viel Zeit mit ihren neuen Freundinnen zu shoppen, Partys zu feiern. Schicke Kleider, eine Penthouse Wohnung in einem exklusiven Viertel und ein teurer Sportwagen führte schließlich dazu, dass nach einem Jahr schon die Hälfte ihres Erbes ausgegeben war. Aber kein Problem, den Rest ihres Geldes vertraute sie ihrem neuen Freund – einem erfolgreicher Börsenmakler – an. Der wollte ihr helfen, dass das Geld sich wieder vermehrte, er kannte sich schließlich aus mit solchen Geschäften…
Doch die überraschende Aktienkrise machte ihnen einen dicken Strich durch die Rechnung. Das viele Geld war plötzlich verschwunden und ihr smarter Freund kurze Zeit später auch. Zum Schluss konnte sie nicht einmal mehr ihre Miete bezahlen.

Aber zum Glück lernte sie in einer Disco einen netten Typen kennen, bei dem sie vorübergehend einziehen konnte. Dass er häufig Drogen nahm, gefiel ihr zwar nicht sonderlich, aber vielleicht konnte sie ihm ja helfen davon wegzukommen.
Sie verliebte sich in ihn, aber von den Drogen kam er trotz vieler Versprechungen nicht los.
Im Gegenteil:
Aus einer Laune heraus und um ihm zu zeigen, dass sie ihn wirklich liebte, ließ sie sich überreden mal zu probieren. Aus dem einen Mal wurde ein Ab und Zu, schließlich wollte sie ja nicht  immer die Spaßbremse bei den immer öfter werdenden Treffen sein. Sie hatte sich ja im Griff  und konnte jederzeit wieder aufhören.
Um ihren Freund aus dem Milieu herauszuholen, schmiedete sie sogar schon Hochzeitspläne, bis sie entdeckte, dass er schon die ganze Zeit heimlich mehrere andere Freundinnen neben ihr hatte.
Total verletzt und  enttäuscht, versuchte sie in den kommenden Wochen ihren Schmerz mit Alkohol und Drogen zu betäuben.
Zum Glück holte sie eine Freundin aus diesem Sumpf heraus und ließ sie in einem freien Zimmer ihrer Wohnung mit wohnen.
Langsam ging es ihr wieder besser.
Um sich erkenntlich zu zeigen, ging sie mit ihrer Freundin mit in diese schummrige Bar, wo sie arbeitet, um als Bedienung auszuhelfen.
Als ihre Freundin ihr nach einigen Wochen eröffnete, dass sie sich ein eigenes Zimmer suchen müsste und zufälligerweise ein Barmädchen ausfiel, ließ sie sich aus Geldnöten überreden „es“ versuchsweise mal zu probieren.
Attraktiv wie sie war,  machte sie in diesem Milieu schnell Karriere und verdiente viel Geld.
Aber ihre Schulden und ihr Drogenkonsum fraß das Geld schneller auf als sie es verdienen konnte. Sie wurde so was wie ein „Star“ in diesem Gewerbe, wurde gefeiert und rumgereicht. Aber in ihrem Inneren blieb sie doch sehr einsam und fühlte sich sehr schäbig und schmutzig bei ihrer Tätigkeit. Sie flüchtete sich in  Tagträume  und es überfielen sie immer öfter tiefe Depressionen.
Eines Nachts, als es mal wieder ganz schlimm war, wollte sie ihrem Leben ein Ende setzen. Als sie die Drogennadel schon zum „goldenen Schuss“ angesetzt hatte,  sah sie plötzlich ein Bild von ihrem weinenden Vater an ihrer eigenen Beerdigung…

Nein,
das konnte sie ihrem Vater nicht auch  noch antun!!!
Sie ging in sich und erinnerte sich, wie gut sie es doch früher zuhause bei ihrem Vater hatte. Wie wenig hatte sie doch  seine Fürsorge und Liebe wertgeschätzt,  ja mit Füßen getreten. Sie weinte bitterlich vor Schmerz über ihr egoistisches und leichtsinniges Handeln.

Von einer Bekannten aus ihrem Nachbardorf, die sie vor einiger Zeit zufällig getroffen hatte, hatte sie erfahren, dass ihr Vater auf dem Hof  Ein-Euro-Jobber als Aushilfe beschäftigte. Wie dankbar wäre sie jetzt für so eine Stelle. Aber wahrscheinlich wollte ihr Vater nach diesen 4 Jahren, in denen sie sich nicht einmal bei ihm gemeldet hatte, nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Nach langem Hin und Her schickte sie ihrer Bekannten eine Email, mit der Bitte doch mal beim Vater vorsichtig anzufragen, ob er sich vorstellen könnte, sie als Aushilfe zu beschäftigen.
Wenn ja, sollte er ein weißes Tuch in den Apfelbaum vor ihrem Kinderzimmer hängen, damit sie sehen konnte, ob sie als Aushilfe willkommen wäre.
Wenn nicht, würde sie einfach mit dem Zug weiterfahren und damit ihm und ihr ein trauriges und vergebliches Wiedersehen ersparen.

Ein paar Tage später kaufte sie sich von ihrem letzten Geld eine Fahrkarte nach Hause. Als der Zug langsam das Murgtal hinauf Richtung Freudenstadt bummelte, zog sich ihr Herz zusammen, als sie die vertraute Heimat zum ersten Mal nach 4 Jahren wieder sah. Wie schön lieblich, friedlich  und idyllisch doch alles hier war. Wie hatte sie das alles wegwerfen können?
Da hinten wohnte ihre Oma, die sie oft mit selbstgemachtem Kuchen und Marmelade verwöhnte…ob sie wohl noch lebte?
Und da war ihre Schule – sie dachte an ihren Lieblingslehrer Herrn Gross, der immer große Stücke auf sie hielt und sie ermutigte später mal zu studieren…

Noch ein paar Kurven und sie konnte das elterliche Heimathaus vom Zug aus sehen. Ihr Herz pochte und sie konnte die Spannung kaum mehr ertragen.
Was sollte sie nur tun, wenn kein weißes Tuch im Apfelbaum hing???

Aus Angst auf die wahrscheinliche Reaktion des Vaters, dass er nicht wollte, dass sie wieder nach Hause kommt und den Apfelbaum leer gelassen hatte, traute sie sich nicht, aus dem Fenster zu schauen. Aber in ihrem Abteil saß noch eine ältere Dame, und nach einem kurzen Gespräch traute sie sich in dem Moment, in welchem der Zug an dem besagten Apfelbaum vorbeifuhr, diese um einen Gefallen zu bitten:
„Bitte können sie mir sagen, ob auf dem Apfelbaum vor dem Bauernhaus eine weiße Fahne hängt?“
Die Frau schaute aus dem Fenster und schüttelte den Kopf
„also ein Apfelbaum mit einer weißen  Fahne kann ich nicht erkennen…
Aber warten sie…
…ich sehe da ein Haus, das ist vollständig bedeckt mit riesigen weißen Tüchern… meinen sie das?
Ja, und vor dem Bauernhaus steht ein Apfelbaum, man kann ihn kaum erkennen vor lauter weißen Tüchern und vor dem Apfelbaum, da steht ein alter Mann und schwenkt eine riesige weiße Flagge.“

Teil 2 nächsten Mittwoch

  1. Welches sind Ihre spontanen Empfindungen beim Hören der Geschichte?
  2. Was ist erstaunlich am Verhalten des Vaters
  3. Hätten Sie gerne einen solchen Vater und weshalb?
  4. Wissen Sie, wer diese Geschichte ursprünglich erzählt hat? Jesus in Lukas 15
  5. Und wer ist in Jesu Erzählung dieser Vater? Gott (aus dem Kontext ersichtlich)
  6. Und wer ist in der Erzählung die Tochter? (wir Menschen, die von zuhause, das heißt vom Hause unseres Vaters im Himmel, weggelaufen sind)
  7. Was ist die schlechte und welches die gute Nachricht der Geschichte? (Wir Menschen laufen von Gott weg und irren ohne den Vater verloren umher und verspielen so unsere Kindschaft bei ihm. Und Gott wünscht sich nichts sehnlicher, als dass wir wieder zurückkommen und er uns wieder neu als seine Söhne und Töchter annehmen kann.)